1. Vertragsärztlicher Bereich
a) Abgrenzung der Verantwortungsbereiche
Die juristische Abgrenzung der Verantwortungsbereiche in Bezug auf Medizinische Versorgungszentren (MVZ) wirft viele Fragen auf. Während die Aufgaben des Geschäftsführers einer GmbH, die als Trägergesellschaft fungiert, im GmbHG ausführlich festgelegt sind und sich hauptsächlich auf die Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft beziehen, scheint die Rolle des ärztlichen Leiters zunächst auf medizinische Angelegenheiten beschränkt zu sein, wie es im SGB V festgeschrieben ist. Dies könnte den Eindruck erwecken, dass die Verantwortlichkeiten klar verteilt sind.
b) Verantwortlichkeit des ärztlichen Leiters
Tatsächlich werden dem ärztlichen Leiter eines MVZ beträchtliche Aufgaben und Verpflichtungen auferlegt. Dazu gehören die Gewährleistung, dass die ärztlichen Leistungserbringer im MVZ keinerlei Anweisungen von Nicht-Ärzten befolgen, die ärztliche Steuerung der Betriebsabläufe, die Gesamtverantwortung gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), die Steuerung des Personaleinsatzes, die medizinische Ausrichtung der Abrechnung, die Einhaltung der Pflicht zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst, die Überwachung der Vertragsärzte in Bezug auf die Einhaltung ihrer Verpflichtungen, die Überwachung der Abrechnungsgenehmigungen, die Überprüfung der Vertretung von abwesenden Ärzten, die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots bei ärztlichen Behandlungen und die Einhaltung von Vorschriften zur Qualitätssicherung, Hygiene und anderen Bestimmungen. Darüber hinaus unterliegt der ärztliche Leiter der Pflicht zur Abgabe einer ordnungsgemäßen Abrechnungserklärung und zur sorgfältigen Abrechnung aller Leistungen des MVZ.
Diese „Gesamtverantwortung“ des ärztlichen Leiters erstreckt sich auf viele Aspekte, die auch einen Praxisinhaber in einer Einzelpraxis betreffen würden. Infolgedessen geht mit der Position des ärztlichen Leiters ein erhebliches disziplinarrechtliches Risiko einher.
c) Verantwortlichkeit des Geschäftsführers der Träger-GmbH
Im Unterschied dazu scheint der GmbH-Geschäftsführer weitgehend von den meisten dieser Verpflichtungen befreit zu sein, insbesondere von solchen, die den Verpflichtungsbereich der Vertragsärzte betreffen. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) kann sogar in die Aufgaben des GmbH-Geschäftsführers eingreifen, der darin besteht, die Gesellschaft nach außen zu vertreten, beispielsweise in Bezug auf Unterschriftsanforderungen im Zusammenhang mit der Abgabe der „Sammelerklärung“ für den ärztlichen Leiter.
d) Zwischenergebnis
Die Rechtsprechung der Sozialgerichte hat dazu geführt, dass die Trägergesellschaft, insbesondere wenn es sich um eine Kapitalgesellschaft handelt, weitgehend von der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung entkoppelt wurde. Obwohl die Gesellschafter der Träger-GmbH aufgrund ihrer Verpflichtung zur Sicherheitsleistung mit ihrem gesamten Vermögen haften, wird der Geschäftsführer in Bezug auf die Verwirklichung des eigentlichen Gesellschaftszwecks zunehmend in den Hintergrund gedrängt. Dies kann dazu führen, dass die Trägergesellschaft in gewisser Weise ihren ursprünglichen Charakter verliert, während der ärztliche Leiter eine Art „vertragsärztlicher Geschäftsführer“ darstellt, der erhebliche Verantwortung und Pflichten trägt, jedoch nicht institutionell mit entsprechenden Rechten ausgestattet ist.
2. Strafrechtlicher Bereich
a) Risiko des ärztlichen Leiters
Im strafrechtlichen Kontext birgt die Handlung des Abrechnungsbetrugs im Gesundheitswesen gemäß § 263 StGB ein erhebliches Risiko, insbesondere im Bereich der Vertragsärzte, da bereits die Abgabe einer fehlerhaften Quartalsabrechnung als strafbar angesehen wird. Weitere Straftatbestände wie die „Verordnungsuntreue“ gemäß § 266 StGB und die „Bestechlichkeit im Gesundheitswesen“ gemäß § 299a StGB könnten ebenfalls von Relevanz sein.
b) Risiko des Geschäftsführers
Auch der GmbH-Geschäftsführer kann strafrechtlich belangt werden, insbesondere im Zusammenhang mit Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen. Typische Delikte, die den Geschäftsführer betreffen könnten, sind Untreue gemäß § 266 StGB, Vorenthalten und Veruntreuung von Arbeitsentgelt gemäß § 266a StGB, Bankrott gemäß § 283 StGB und Bestechung im Gesundheitswesen gemäß § 299b StGB.
c) Zwischenergebnis
Die Unterschrift unter die Quartalsabrechnung stellt eine strafrechtliche relevante Tathandlung dar und birgt erhebliche Risiken. Diese Risiken betreffen nicht nur die Auswahl der Beschuldigten im Ermittlungsverfahren, sondern führen auch zu Anwaltskosten, persönlicher Belastung, möglicherweise zu einer Hauptverhandlung gemäß § 153a StPO, Karrierehindernissen und mehr.
3. Verantwortlichkeit sog. „patientenferner Entscheider“ wegen Organisationsverschuldens
In vielen Fällen besteht eine Korrelation zwischen fehlerhaftem Behandlungsverhalten und Mängeln in der Organisation oder Infrastruktur. Dennoch werden Ermittlungen oft gegen die beteiligten Ärzte eingeleitet, während die ärztliche Leitung oder Geschäftsführung, die in sorgfaltswidriger Weise gehandelt haben könnte, häufig nicht zur Verantwortung gezogen wird. Es ist wichtig zu beachten, dass neben der strafrechtlichen Verantwortlichkeit und der zivilrechtlichen Haftung auch die Möglichkeit der Organhaftung gemäß § 31 BGB analog sowie der Verbandshaftung gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 5 OWiG bestehen kann.
4. Zwischenergebnis
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Risikoanalyse im Kontext von MVZ äußerst komplex ist. Die Rollen und Verantwortlichkeiten des ärztlichen Leiters und des GmbH-Geschäftsführers müssen sorgfältig abgewogen werden, da beide erhebliche Risiken in Bezug auf disziplinarrechtliche und strafrechtliche Verantwortlichkeit tragen können. Zudem darf das besondere Problem der Verantwortlichkeit von „patientenfernen Entscheidungsträgern“ im Zusammenhang mit organisatorischem Verschulden nicht außer Acht gelassen werden. Eine klare rechtliche Abgrenzung und die klare Definition der Verantwortlichkeiten sind daher von entscheidender Bedeutung, um die rechtlichen Risiken auf ein Minimum zu reduzieren.